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Was ist Diskriminierung?
Übersicht
Was wird unter Diskriminierung verstanden?
Schaubild: Was ist Diskriminierung?
Bei der Frage, was Diskriminierung ist, wird häufig auf das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (kurz: AGG) Bezug genommen. Es wird umgangssprachlich auch »Antidiskriminierungsgesetz« genannt. Das AGG selbst verwendet den Begriff »Diskriminierung« allerdings gar nicht. Es spricht von mittelbaren oder unmittelbaren Benachteiligungen von Menschen aufgrund schützenswerter Merkmale ohne sachliche Rechtfertigung. Diese sind gesetzlich verboten. Ausschlaggebend ist die Wirkung, nicht die Intention. Das schützenswerte Merkmal kann tatsächlich oder bloß zugeschrieben sein, stellt einen wesentlichen Bestandteil der Persönlichkeit dar und ist schwer bis nicht veränderbar.
Um den Begriff der Diskriminierung sozialwissenschaftlich zu definieren, sind die rechtlichen Ausführungen des AGG ein guter Richtwert. Es kommt jedoch eine weitere Dimension hinzu, die das AGG nicht vertiefend behandelt: Schützenswerte Merkmale sind Bestandteil gesellschaftlicher Machtstrukturen, die über Jahrhunderte etabliert wurden und auch trotz intensiverem Einsatz für Antidiskriminierung in unserer Gesellschaft noch immer sehr wirkmächtig sind. Diskriminierung ist nicht nur individuell, sondern auch strukturell verankert: Es braucht eine Machtstruktur, welche die Benachteiligung stützt. (Dies zeigt sich auch im AGG an den gerechtfertigen Ungleichbehandlungen durch positive Maßnahmen).
Es macht aus sozialwissenschaftlicher Sicht z.B. einen großen Unterschied, ob eine homosexuelle Person behauptet, Heterosexualität sei eine Krankheit und müsse behandelt werden, oder ob eine heterosexuelle Person dies über Homosexualität behauptet. Beide Aussagen sind respektlos, beleidigend und verletzend. Die Behauptung der heterosexuellen Person entspricht darüber hinaus einer Jahrhunderte alten Geschichte der Pathalogisierung, Unterdrückung, Kriminalisierung und Ermordung von Menschen aufgrund ihrer Homosexualität und es gibt noch immer erschreckend viele Menschen, die diese Aussage teilen. Die Aussage der homosexuellen Person wird dagegen nicht viel Zuspruch finden – weder im historischen noch im heutigen Kontext – ihr fehlt die strukturelle Macht. Um beide Arten der ungerechtfertigten Benachteiligung voneinander abzugrenzen, wird dafür plädiert, nur von Diskriminierung zu sprechen, wenn die ungerechtfertigte Benachteiligung aufgrund eines schützenswerten Merkmals mit Macht ausgestattet ist und einem existierenden Herrschaftsverhältnis entspricht. Dieser Auffassung zur Folge kann es daher z.B. keine rassistische Diskriminierung gegen weiße Personen und keinen Sexismus gegen cis-geschlechtliche Männer geben.
Um vor Diskriminierung zu schützen und für eine Kultur der Antidiskriminierung einzutreten, ist es wichtig, sie auch unter einer sozialwissenschaftlichen Perspektive zu verstehen. Unmittelbare Diskriminierung beruht demnach auf der Behauptung von Unterschieden zwischen Menschengruppen, die zur Rechtfertigung von benachteiligender Ungleichbehandlung genutzt werden. Die zugrunde liegende Denkweise lässt sich wie folgt vorstellen: Es wird die Homogenität anderer Gruppen behauptet (»Die sind alle gleich.«), wohingegen man sich zwar selbst auch als einer Gruppe angehörig betrachtet (»wir«), aber sich dennoch auch als Individuum wahrnimmt (»ich«). Die Gruppen werden einander polarisierend gegenübergestellt (»Die sind anders als wir«) und hierarchisch angeordnet (»Wir haben mehr Rechte als die«). Diese Hierarchisierung wird schließlich durch vermeintliche Merkmale der vermeintlich homogenen Gruppe begründet (»Wir müssen mehr Rechte als die haben, weil die alle die Eigenschaft XY haben«). Die eigene Gruppe wird damit aufgewertet, die vermeintlich andere Gruppe abgewertet und die behauptete Andersartigkeit als Begründung für die Ungleichbehandlung genutzt. Dadurch erscheint die Ungleichbehandlung als nicht ungerecht sondern begründet. Häufig wird dabei mit der Zuschreibung von vermeintlich natürlichen und unveränderbaren Eigenschaften verfahren.
Auch wenn die Unterscheidungen, die Diskriminierung behauptet, nicht real sein müssen, handelt es sich bei den Folgen der Diskriminierung für die betroffenen Personen immer um etwas Reales. Es geht dabei nicht nur um vereinzelte individuelle Meinungen oder Abneigungen, sondern um grundsätzliche Ressourcen und Möglichkeiten zur gesellschaftlichen Teilhabe, die nicht gleichberechtigt allen Mitgliedern der Gesellschaft offenstehen. Mithilfe von Diskriminierungen wird die Grenze zwischen Mehrheitsgesellschaft und Minderheiten, zwischen »normal« und »abweichend« markiert und bestimmten Menschengruppen pauschal negative Eigenschaften zugeschrieben, die begründen sollen, warum sie benachteiligte soziale Positionen einnehmen. Die individuelle Situation wird dabei vernachlässigt und der einzelne Mensch nur als Vertreter einer vermeintlich einheitlichen sozialen Gruppe gesehen. Dies kann so weit gehen, dass Gruppen von Menschen ihr Menschsein gänzlich abgesprochen wird. Neben Hassverbrechen von Einzeltäter*innen kann dies auch durch größere Institutionen geschehen, z.B. war Diskriminierung ein Element bei der Versklavung von Menschen afrikanischer Herkunft im Kolonialismus oder der Ermordung von jüdischen Menschen, Menschen mit Behinderung oder anderen als »entartet« stigmatisierten Personengruppen im Nationalsozialismus. Diskriminierung ist nicht nur eine Frage individueller Beleidigungen oder Gewalttaten, sondern ein komplexes gesamtgesellschaftliches Machtsystem mit einer langen Tradition, das bis heute wirkmächtig ist und in das wir alle verwoben sind.
Welche Arten von Diskriminierung gibt es?
Ebenen von Diskriminierung
Diskriminierungen können auf verschiedenen Ebenen stattfinden. Zum Beispiel:
gesellschaftliche Ebene (Ideologie) | in Medien und Alltagsgesprächen transportierte ideologische Vorstellungen, Bezeichnungen und Bilder über Normalität und Abweichungen; Repräsentationen; Klischees; Vorurteile (z.B. Vorstellung von natürlicher Zweigeschlechtlichkeit und Stigmatisierung von darüber hinausgehenden Geschlechtern als krank und behandlungsbedürftig) |
instituionelle Ebene (Institutionalisierung) | Diskriminierungen als Ergebnis des Handelns von Organisationen, Unternehmen und Verwaltungen aufgrund von Gesetzen, Verordnungen, Anweisungen, Routinen oder Unternehmenskultur (z.B. Formulare, die nicht alle Lebensrealitäten berücksichtigen und als Gatekeeper fungieren) |
interpersonelle Ebene (Interaktion) | eine Person diskriminiert eine andere aus eigenen Beweggründen (z.B. eine Person beleidigt eine andere rassistisch) |
intrapersonelle Ebene (Internalisierung) | eine Person wertet sich selbst aufgrund eines Diskriminierungsmerkmales ab (z.B. Selbstzweifel und Selbsthass) |
Diskriminierungsmerkmale
Diskriminierungen lassen sich hinsichtlich der Merkmale, auf die sie sich beziehen, unterscheiden. An der MLU sind Diskriminierungen aufgrund folgender – auch im AGG genannter – geschützter Merkmale nicht gestattet:
- ethnische Herkunft
- Geschlecht
- Religion oder Weltanschauung
- Behinderung
- Alter
- sexuelle Identität
Diese Merkmale werden als schützenswert betrachtet, da sie sich auf wesentliche Persönlichkeitsmerkmale beziehen und nicht beliebig geändert werden können.
Je nachdem auf welches Merkmal sich Diskriminierungen beziehen, können sie begrifflich differenziert werden. Zum Beispiel:
- Ein Mann wird diskriminiert, weil er Jude ist. (= Antisemitismus)
- Eine Frau wird diskriminiert, weil sie eine Frau ist. (= Sexismus)
- Ein Mann wird diskriminiert, weil er schwul ist. (= Homofeindlichkeit)
- Eine Frau wird diskriminiert, weil sie im Rollstuhl sitzt.
(= Behindertenfeindlichkeit) - Eine Person wird diskriminiert, weil sei eine nicht-binäre Geschlechtsidentität hat (=Transfeindlichkeit)
- Ein Mann wird diskriminiert, weil er Rom ist. (= Antiromaismus)
- Eine Frau wird diskriminiert, weil sie Muslima ist. (= antimuslimischer Rassismus)
Für eine Diskriminierung ist es irrelevant, ob ein Merkmal tatsächlicher oder bloß zugeschriebener Art ist. So handelt es sich z.B. auch dann um eine rassistische Diskriminierung, wenn ein sogenannter "Migrationshintergrund" von der diskriminierenden Person nur fälschlicher Weise angenommen wird.
Diskriminierungen können sich auch auf ein Zusammenwirken mehrerer Merkmale beziehen. Dann wird von Mehrfachdiskriminierung gesprochen. Zum Beispiel:
- Einer Wissenschaftlerin wird im Anschluss an ihre Promotion eine Stelle in einem Forschungsprojekt verwehrt, da angenommen wird, in ihrem Alter sei ein Kinderwunsch von großer Dringlichkeit und daher mit einem baldigen längerfristigen Ausscheiden aufgrund von Elternzeit zu rechnen. (= Diskriminierung aufgrund des Zusammenwirkens der Merkmale Geschlecht und Lebensalter)
Mittelbare und unmittelbare Diskriminierung
Des Weiteren kann zwischen mittelbaren und unmittelbaren Diskriminierungen unterschieden werden. Eine unmittelbare Diskriminierung liegt vor, wenn eine Person eine weniger günstige Behandlung als eine Vergleichsperson erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Kurz: Gleiches wird ungleich behandelt. Ein Beispiel:
- Ein ausländischer Student hält gemeinsam mit einem deutschen Kommilitonen ein Referat. Der Kommilitone wird deutlich besser bewertet als der ausländische Student, obwohl ihre Leistungen gleichwertig sind.
Eine mittelbare Diskriminierung liegt vor, wenn Vorschriften scheinbar neutral sind, aber in der Anwendung zu einer ungünstigen Behandlung einer bestimmten Personengruppe führen. Kurz: Hier wird Ungleiches (im Sinne von ungleichen Voraussetzungen) gleich behandelt. Ein Beispiel:
- Eine Studentin kann aufgrund einer Behinderung nicht so schnell schreiben wie ihre Mitstudierenden, muss die schriftlichen Prüfungen aber in der selben Zeit absolvieren wie alle anderen.
An der MLU sind mittelbare wie auch unmittelbare Diskriminierungen nicht gestattet.
Formen von Diskriminierung
Ein breites Spektrum von Handlungen und Strukuren kann Diskriminierungserfahrungen bewirken. Dieses reicht von alltäglichen kleinen Bemerkungen, die in der Summe zu einem belastenden diskriminierenden Klima führen, über Ausschlüsse und Barrieren, bis hin zu massiven Straftaten wie Körperverletzungs- und Tötungsdelikten. Im Folgenden finden Sie eine Übersicht, die das Spektrum möglicher Diskriminierungserfahrungen aufzeigt:
- Vorurteile:
Verallgemeinerungen, die Menschen aufgrund von Gruppenzugehörigkeit bestimmte Eigenschaften oder Handlungsweisen zuschreiben. Diese können negativ (z.B. »Ausländer sind kriminell.«) oder vermeintlich positiv sein (z.B. »Schwule Männer sind immer so kreativ!«). - Herabwürdigung:
Beleidigung, Belästigung, Stigmatisierung, Ausgrenzung, Bevormundung, Nicht-Ernst-Nehmen, Lächerlichmachen, Verniedlichung, Infantalisierung, Bloßstellen, Geringschätzung von Leistungen, Mobbing, ungleiche Bezahlung, als bemitleidenswertes Opfer darstellen - Mikroaggressionen:
Alltagsdiskriminierung, die immer wieder vor Augen führt, dass eine Person anders ist und nicht dazugehört. Viele vermeintliche Kleinigkeiten summieren sich zu einer feindlichen Gesamtsituation (z.B. wenn eine Person immer wieder aufgrund ihres Aussehens gefragt wird, wo Sie denn wirklich herkomme). - Nicht-Thematisierung:
keine (positive) Repräsentation in Medien, mangelnde Vorbilder, Nicht-Mitdenken - Überbetonung:
Reduktion auf Gruppenzugehörigkeit, Absprache von Individualität, Exotisierung, Fetischisierung, Glorifizierung - Kulturelle Aneignung:
Mitglieder einer dominanten Kultur eignen sich zum eigenen Vorteil unrechtmäßig Elemente einer Kultur an, die von ihr unterdrückt wird, z.B. wenn weiße Menschen Frisuren aus der Schwarzen Kultur übernehmen und dafür als »hip« & »trendbewusst« gefeiert werden, während Schwarze Personen sich ihre Haare glätten oder Perrücken tragen, weil sie sonst keine guten Chancen haben, in einer dominant weißen Gesellschaft einen guten Job zu bekommen. - Zugangsbarrieren:
Ausschlüsse und Verunmöglichung von Teilhabe durch Nichtbeachtung von Bedarfen: baulich (z.B. kein Aufzug, keine barrierefreie Toilette, keine All-Gender-Toilette), sprachlich (z.B. keine Dolmetscher*innen, keine Mehrsprachigkeit von Texten, nicht-barrierefreie Dokumente), mangelnde Familienfreundlichkeit (z.B. keine Kinderbetreuung), terminlich (z.B. durch Nichtbeachtung religiöser Feiertage), kulinarisch (z.B. kein Angebot von Nahrungsmitteln, die allergiker*innenfreundlich, koscher oder halal sind) oder finanziell (z.B. Eintrittspreise, die nicht für jede Person erschwinglich sind). - Gewalt:
Hate Speech, Bedrohung, Sachbeschädigung, Raub, Körperverletzung, Durchführung nicht-notwendiger medizinischer Operationen, sexualisierte Gewalt (z.B. Nötigung, Vergewaltigung), Brandstiftung, Sprengstoffdelikte, Freiheitsberaubung, Vertreibung, Verfolgung, Versklavung, Tötungsdelikte, Attentate, Genozide
Ist jede Benachteiligung eine Diskriminierung?
Benachteiligungen, die sich auf schützenswerte Merkmale beziehen, können gemäß AGG auch sachlich gerechtfertigt sein. Dann stellen sie keine Diskriminierung dar. Folglich ist nicht jede Benachteiligung auch eine Diskriminierung.
Eine sachliche Rechtfertigung besteht, wenn es sich um eine Fördermaßnahme zum Ausgleich einer bestehenden Benachteiligung handelt ("positive Maßnahme") oder das Kriterium für die Ungleichbehandlung für eine auszuübende berufliche Tätigkeit eine wesentliche und entscheidende Anforderung darstellt. Zum Beispiel:
- Eine Beratungsstelle für Migrant*innen sucht in einer Stellenausschreibung für die Beratungstätigkeit nach einer Person einer bestimmten ethnischen Herkunft, da diese eine wesentliche Voraussetzung dafür sein kann, dass ein für die Beratung wichtiges Vertrauensverhältnis entstehen kann. Dies stellt keine Diskriminierung gegenüber Personen anderer ethnischer Herkünfte dar.
- Ein Mann ohne Behinderung bewirbt sich auf eine Stelle an einer Universität. Obwohl er genauso für die Stelle qualifiziert ist wie sein schwerbehinderter Mitbewerber, erhält er die Stelle nicht. Dies stellt keine Diskriminierung dar.
Zwar kann jede Benachteiligung, Beleidigung oder verletzende Handlung für die betroffene Person unangenehm sein, doch stellt nicht jeder Konflikt auch eine Diskriminierung dar. Diskriminierung bezieht sich stets auf schützenswerte Merkmale, die wesentlich zur Persönlichkeit gehören, nicht beliebig veränderbar und Bestandteil gesellschaftlicher Machtverhältnisse sind. Zum Beispiel:
- Eine Studentin sagt über einen Kommilitonen: "Menschen, die Heavy Metal hören, sind doch eh zu dumm zum Studieren." Dies ist beleidigend, kann den Kommilitonen verletzen und zu einem Konflikt zwischen den beiden führen. Der Musikgeschmack ist aber kein geschütztes Merkmal und die Aussage der Kommilitonin keine Diskriminierung.